Lebenserinnerungen: Der Elisabethenhain

Heinrich Siesmayer:

„Nun komme ich auf meine Lieblingsschöpfung zu sprechen, nämlich den Elisabethenhain bei Vilbel und mag diese den Abschluß der Beschreibung meiner gärtnerischen Leistungen bilden.

Es war von jeher mein Wunsch es einmal so weit zu bringen, ein Besitztum für größere Baumschulanlagen mein eigen zu nennen. Dieser Gedanke beschäftigte mich fort und fort und hat sich erst nach Jahren in dem Vilbeler Anwesen „Elisabethenhain“ verwirklicht. 48 Jahre habe ich im eigenen Geschäfte gebraucht, um diese meine Lieblingsidee zur Ausführung bringen zu können. Wie ich dazu kam und unter welchen Mühen ich es erworben habe, sei im Nachfolgenden dargethan; doch muss ich in der Zeit weit zurückgreifen, um klares Verständnis hierfür zu geben.

Als ich mich verheiratete, legte ich die wenigen Gelder, die ich als Mitgift von meiner Frau erhielt, nicht im Geschäfte an, wie dies ja üblich ist, obwohl ich sie nötig hätte brauchen können. Da nämlich böse Zungen mir nachsagten, ich heirate diese schöne Tochter nur des Vermögens halber, so geriet meine gute Schwiegermutter, die mich ja noch nicht genügend kannte, darüber ganz außer Fassung, und erst, als ich sie versicherte, eine solch‘ nichtswürdige Denkungsweise liege mir ganz ferne, und sie inständig bat, mir ihre Tochter ohne alle Mittel zu geben, beruhigte sie sich und gab mir mit vollem Vertrauen ihre geliebte Tochter. Das kleine Kapital meiner Frau aber war mir nun ein Heiligtum, das anzutasten mich nichts bewegen konnte, obwohl ich damals das Geld im Geschäfte so nötig brauchte, wie das liebe Brod. Ich bemühte mich vielmehr es günstig anzulegen. Da mir dies bei Bankiers nicht nach

Wunsch gelingen wollte, entschloss ich mich, es in Ländereien oder Bauplätzen an den Hauptlinien Bockenheims anzulegen, was sich auch von großem Vorteil erwies. Durch die Kriegsereignisse des Jahre 1866 gewann unser hiesiger Grund und Boden ganz bedeutend an Wert, und so verkaufte ich unter den allergünstigsten Bedingungen ca. 18 größere und kleinere von den genannten Bauplätzen, die per Quadratfuß bis zu 6 Mark bezahlt wurden, während sie mich beim Ankauf zum Teil kaum3 Kreuzer per Quadratfuß gekostet hatten. Für die hieraus erlösten Gelder kauft ich mir größtenteils österreichische Nationalpapiere unter dem allerniedrigsten Kurs, behielt diese und andere eine Reihe von Jahren und verkaufte dann dieselben, namentlich die Oesterreicher, unter günstigem Kurs, um 33 Prozent höher, wodurch sich mein Kapital ganz bedeutend vermehrte.

Diese Glücksgelder meiner guten, unvergeßlichen Frau setzten mich in den Stand, meine Lieblingsidee zur Ausführung zu bringen, weshalb auch ihr Andenken im Namen „Elisabethenhain“ für mich und meine Kinder fortleben wird!

Um ein derartiges größeres Grundstück zu erwerben, unterhandelte ich mehrere Jahre verschiedentlich in Bockenheim, Rödelheim, Oberrad, Offenbach und Marburg. Es kam jedoch keiner dieser Ankäufe zustande, worüber ich heute recht froh und glücklich bin. Ganz durch Zufall wurde ich auf Vilbel aufmerksam gemacht von einem von dort gebürtigen Bekannten Namens Simon, den ich auf meinen Fahrten nach Nauheim, die ich so ziemlich jeden Samstag seit 34 Jahren unternahm, öfter zum Reisegefährten hatte. Ich unterhielt mich mit ihm über den Ankauf von Grundstücken, und an dem Gelände von Vilbel vorbeikommend meinte er, dies sei wohl ein Grundstück, meinen Wünschen entsprechend. Er verhehlte mir dabei nicht, daß es Gräflich Walderdorff’sches Fideikommiß sei und deshalb schwer zu erwerben sein werde, daß es auch wegen der guten Lage an der Bahn viel Geld koste, doch würde mir der Ankauf schon gelingen, wenn ich es geschickt anfange. Bei allen meinen Unternehmungen ist es mir nun stets eigen gewesen, nicht lange zu fragen und zu zögern, sondern mit Gott zu wagen. Ich setzte mich noch am gleichen Tage mit der Gräflich Walderdorff’schen Rentei in Molsberg durch Herrn Finanzrat Lindeck, den ich zufällig in Nauheim an der Tafel traf, in Verbindung. Dieser mein Bevollmächtigter unterhandelte lange; da aber enorme Preise gefordert wurden, die ich nicht zahlen konnte, war ich genötigt, vorderhand die Sache ganz fallen zu lassen. Nach mehr als einem Jahre griff ich dieselben von Neuem wieder auf, unterhandelte jetzt mit einem sehr praktischen gräflichen Beamten, dem Oberverwalter Stahl in Kloppenheim, dem ich persönlich meine Absicht kund gab und dabei bemerkte, daß ich, als Geschäftsmann, solch‘ geforderte Riesensumme nicht zahlen könne. Nach darauf erfolgter Verminderung des erstgeforderten Preises wurde der erste Ankauf von ca. 43 Morgen perfekt und amtlich – den 7. April 1877- abgeschlossen.

Um das Grundstück besser zu arrondieren und mir die Ab- und Zufahrt zu sichern, mußte ich eine kleine Parzelle mit Wohnhaus und Oekonomiegebäude, dicht an der Bahn, kaufen, den eigentlichen Schlüssel zur heutigen Baumschule. Dies kam mir aber teuer zu stehen, da der Besitzer mein Vorhaben vor der Zeit erkannte und deshalb außerordentlich hohe Forderungen stellte. Ich habe daher auch alles auf Interimsscheine durch andere erwerben lassen, um mich nicht vorher als Eigentümer zu gerieren. Bis zur völligen Arrondierung erwarb ich je nach meiner Finanzlage in Zwischenräumen 18-20 Parzellen, so daß das Anwesen heute ca. 60 Normal-Morgen enthält. An der Ostseite wird es begrenzt von einem Fahrweg nach Berkersheim, der später Bauterrain wird. Westlich liegt es dicht an der Main-Weser-Bahn, von wo aus das ganze Grundstück gut zu übersehen ist, da es an einem leichten Abhange liegt und sich so malerisch präsentiert. Darauf legte ich als Landschafter mein Hauptaugenmerk, und diese schöne Lage ist auch von wesentlichem Vorteil für den Handel, da Hunderttausende von Menschen hier mit der Bahn an dem Grundstück vorüberfahren und durch einen in der Mitte angebrachten, thorartigen Bogen, der die Firma mit den Wappenschildern trägt, darauf aufmerksam gemacht werden. Die ganze Anlage mit einer der Bahn zugekehrten, 1 Kilometer langen Front ist als großer Garten im Strahlensystem, nicht, wie es sonst üblich, in Carres angelegt. Ein Hauptübelstand war, daß ein schon seit Jahrhunderten bestehender Vicinalweg das Grundstück in zwei Hälften teilte und mein Projekt vollständig in Frage stellte. Wie immer rasch entschlossen, machte ich mich sofort an den Gemeindevorstand in Vilbel, durch meinen braven Vertreter Grimm dortselbst, wurde jedoch abgewiesen. Ich ließ mich aber nicht beirren, appellierte 6-8 Monate lang, mein Vorbringen erneuernd, und nach langem Ringen bei den verschiedenen Behörden in Friedberg, Kassel, Darmstadt (ich sprach sogar bei dem Großherzog vor) erlangte ich die Verlegung des Weges gegen einen anderen, breiteren, auf meine Kosten chaussirten Fahrweg außerhalb des Grundstückes, unter schweren Opfern.

Am 29. August 1883, als das ganze Areal eingefriedigt war, unternahm ich die ersten Terrainarbeiten, und zwar die großen Fahr- und Fußwege, welch‘ letztere grüne Wege, wie in England, sind, mit Rabattenanlagen und Wendeplätzen. Die Linien wurden teils mit hochstämmigen Obstbäumen in Abwechselung von Pyramiden, Kordons, teils mit Zierbäumen und Ziergehölzern u. s. w. bepflanzt, während auf die umrigolten Felder Setzlinge für Baumschulanlagen kamen. Bei diesen Arbeiten wurden auch noch interessante Entdeckungen gemacht, die sich den früheren Ausgrabungen in dieser Gegend anreihen. Es wurden viele historisch wertvolle Fundstücke zu Tage gefördert, die wohl mehr als tausend Jahre im Schoße der Erde geruht, Särge, Thonstücke, Münzen, Pokale. Sie siedelten alle zur Aufbewahrung in das Museum nach Darmstadt über. Sogar die noch recht gut erhaltenen Ruinen eines Römerbades kamen zum Vorschein und können dortselbst noch gesehen werden.

Ich habe dieses Etablissement für meine drei Söhne bestimmt. Wenn Gott will, soll einer derselben, der als Spezialist für Obstkulturen in deutschem, französichem und Englischen System studiert das Ganze mit seinen Brüdern leiten, die Baumschule führen, und in meinem Sinne erweitern, um dereinst mit Franzosen, Holländern, Belgiern in deutscher Anzucht, was Schönheit der Form, Aechtheit und Qualität betrifft, in ebenbürtige Konkurrenz treten zu können, da ich der festen Überzeugung bin, dass wir der fremden Elemente nicht bedürfen.

Das Anwesen besitzt bis jetzt an ausdauernden Koniferen 200 diverse Sorten, allein ca. 100 Sorten Quercus, mehr als ca. 500 Sorten Bäume aller Gattungen als: Acer, Tilia, Platanus, Liriodendron, Bignonia, Fraxinus, Fagus, Ulmas. Ferner ca. 1500 Sorten Ziergehölze, worunter die allerneuesten 50-60 Sorten Schling- und kriechende Gewächse, 100 Sorten Tafelobst, Aepfel und Birnen, ca. 30 Sorten Oekonomieobst (Mastobst), ca. 30 Sorten Steinobst: Mirabellen, Zwetschen u. s. w., ca. 100 Sorten diverses Beerenobst: Stachelbeeren, Johannisbeeren, Brombeeren, Mispeln u. s. w., ca. 100 Sorten hoch- und niederstämmige Rosen, ca. 20 Sorten kriechende und Schlingrosen.

Sämtliche Sortimente eingeführter Bäume, Sträucher, Koniferen, Obst und dergleichen bleiben als Solitär- resp. Mutterpflanzen im Institut zur Ansicht des Publikums, um deren Wachstum, Habitus, Sorte, Früchte kennen zu lernen, und ist der erste, reichhaltige Katalog nunmehr fertiggestellt. Die ganze gärtnerische Baumanlage wird Ende April oder Anfang Mai dieses Jahres (1889) ihre Vollendung erreicht haben. Dies Institut soll nicht allein dem Handel. dienen, sondern in meiner Absicht liegt es, dasselbe zu einer gemeinnützigen Anstalt für Gärtner und Laien nutzbringend zu machen. In meinem Testament habe ich deshalb bestimmt, daß dieser Garten an Sonntagen gegen ein kleines Entrée, die Höhe desselben (etwa 5 oder 10 Pfennig) meinen Söhnen überlassend, für Jedermann offen steht. Das daraus geIöste Geld ist für die Armen von ViIbel und Bockenheim bestimmt, ohne Unterschied der Konfession. Auf gutgeschriebenen Zinketiquetten sind sämtliche

Pflanzen, mit genauer Angabe des botanischen Namens und Vaterlandes, für jedermann leserlich, angebracht, so daß sich für Laien und Fachleute, geschäftlich, wie wissenschaftlich, die Reise nach dem Elisabethenhain lohnen dürfte.

Ich leite die Baumschule von Beginn bis heute mit Lust und Liebe persönlich, unter Assistenz eines gutgeschulten Obergärtners, namens Schildknecht, und es ist mein Wunsch, daß derselbe, wenn er fortfährt treu und ehrlich weiterzuarbeiten, dem Institute lebenslang verbleibt. Doch dies letztere meinen Söhnen überlassend.

Möge es meiner Söhne Aufgabe sein, die Baumschulen in meinem Sinne zu leiten und zu erweitern, damit der Name Elisabethenhain das Gedächtnis der unvergeßlichen, guten Mutter würdig forterhalte, und das Institut mit den anschließenden Höhen und Niederrungen verbunden, ähnlich werde einem Angers, Montreule, Boskoop. Von hier soll nicht nur ein Kleinhandel, sondern ein Welthandel betrieben werden, der die Ware nach den entferntesten Gegenden hin liefert. Es ist mein Wunsch, daß meine Söhne diesen Gedanken in der angegebenen Richtung erfüllen und mit Lust und Liebe dahin wirken, daß mit Gottes Hilfe das Ansehen der Firma mehr und mehr erweitert, dabei aber auch der Wohlstand Vilbels mit in’s Auge gefaßt werde, wozu ich ihnen meinen väterlichen Segen gern erteile!

Aus diesen Vilbeler Saatschulen übersandte ich die ersten Abschnitte buntblätteriger Bäume und Sträucher, in Gestalt eines Riesenbouquetts, im Herbste 1887, bei Gelegenheit der großen Kaisermanöver, nach Stettin an Ihre Majestät die Kaiserin Augusta, welche mit vielem Interesse die Mannigfaltigkeit der Blattformen und Farben bewunderte. Ebenso entstammten die am 90. Geburtstage Seiner Majestät des Hochseligen Kaisers Wilhelm I. auf dem hiesigen Marktplatz von mir angepflanzten 20 Kaisereichen den Vilbeler Saatschulen. Die Erstlinge des Elisabethenhains, ca 150 Sorten diverser Bäume und Sträucher, habe ich Sr. Heiligkeit Papst Leo XIII. dediziert, um zur Erinnerung an Hochdessen 50jähriges Priesterjubiläum in die vatikanischen Gärten verpflanzt zu werden, begleitet von einem durch Herrn Dechant Helfrich in lateinischer Sprache abgefaßten Dedikationsschreiben in Albumformat. Die Hauptzierde desselben bildet eine sehr große, kunstvoll ausgeführte Initiale L, eine Kopie aus dem prachtvollen und weitberühmten Evangelienbuche aus dem 13. Jahrhundert in der Bibliothek zu Fulda. Bei der farbenreichen Bordüre diente die Farbenzusammenstellung in einem andern, mittelalterlichen Werke als Muster. Das am Kopfe des Katalogs nach einer photographischen Aufnahme meisterhaft in Aquarellmalerei ausgeführte Bild bietet die Ansicht der ganzen Baumschule in Vilbel. Dies Geschenk wurde persönlich durch Herrn Dechant Ibach Sr. Heiligkeit dem Papste übergeben und von demselben freundlich und mit Interesse entgegengenommen, da er selbst großer Gartenfreund ist.

Es würde zu weit führen, wenn ich auf alle Einzelheiten meiner 5Ojährigen Praxis zurückkommen wollte. Die Zahl der von mir gemachten Anlagen beläuft sich auf mehr als 1000 im In- und Auslande und erstreckt sich auf alle Gebiete der technischen Gartenkunst, wie: Parkanlagen, Stadtgärten, Squares, Blumen-, Obst- und Gemüsegärten, Friedhöfe, Wintergärten, Irrgärten, Handelsgärten, Ziergärten, botanische Gärten, ferner Grotten-, Brücken- und Straßenbau, Wasseranlagen, sowie architektonische Ausführungen in Gitterarbeiten, als Pavillons, Verandas, Arbeiten in Naturholz, Baumrinde, Kork u. s. w. Ich bin in dieser Schrift nur auf die bedeutendsten und interessantesten Arbeiten näher eingegangen, um damit in kurzen Umrissen meinen Freunden und Söhnen einen Ueberblick meiner Thätigkeit zu geben, den letzteren zugleich die Art und Weise meines Schaffens kundzuthun, mit der dringenden Mahnung, später in meinem Sinn und meinem Geiste kräftig und einmüthig weiter zu arbeiten, damit die Firma Gebrüder Siesmayer auf der Höhe bleibt, auf die sie mit so unendlicher Mühe, mit Einsetzen der ganzen Kraft, aber auch von Anfang bis zu Ende mit voller und glühendster Hingabe für die Sache gelangt ist.“

Heinrich Siesmayer 1889